Gülen-Bewegung: Dialog zwischen Integrationsarbeit und Sektenwahn

Umut Ali Öksüz, Dr. Cemil Şahinöz,

 

Der Begriff Sekte ist ursprünglich ein christlich konnotierter Begriff und ist auf Grund des charakteristischen Typus des Christentums auf diesen anwendbar. Einen vergleichbaren Begriff gibt es in anderen Religionen nicht. Inhaltlich betrachtet, gibt es jedoch auch in anderen Religionen Sekten, bzw. Gruppen, die die gleichen Kriterien erfüllen. So soll in diesem Artikel geschaut werden, ob die religionssoziologischen Kriterien für eine Sekte auf die Gülen Bewegung zutreffen.

 

Definition und Kriterien

Max Webers “Soziologische Grundbegriffe“ endet mit einem Vergleich von Kirche und Sekten. Demnach wird man in die Kirche „hineingeboren“, wohin eine Sekte „nur die religiös Qualifizierten persönlich in sich aufnimmt“. Er verweist dabei auf Kriterien der Religionssoziologie, in der der Begriff Sekte, den es schon seit der Antike gibt, inhaltlich entwickelt wurde. Unabhängig davon, dass es einige unterschiedliche Definitionen vom Sektenbegriff gibt, gibt es auch minimale Kriterien von Sekten, die die unterschiedlichen Definitionen gemeinsam haben. Laut Frank-Xaver Kaufmann sind das Kriterien wie Gemeinschaftscharakter, freiwillige Mitgliedschaft, allgemeines Priestertum und eine klare und scharfe Abgrenzung „mit Hilfe der eigenen, meist radikal-religiösen Auffassungen gegen die vorherrschende Kultur“. Im Allgemeinen haben sich Sekten von der Urreligion abgespalten und befinden sich im Konflikt und überwiegend auch in einer Konkurrenzbeziehung zu ihr. Ähnlich wie Radikale und extreme Gruppen, bieten Sekten ein vereinfachtes, dichotomisiertes Weltbild. Die Welt ist aufgeteilt in die "Guten“ und die "Bösen“. Die "Guten", das sind die Mitglieder der Sekte, die versuchen die Welt zu verbessern. Die "Bösen", alle außerhalb der Sekte,

sind verblendet und sehen die Wahrheit nicht. Diese "Guten" sehen sich durch die Zugehörigkeit als eine auserwählte Elitegruppe, die es

geschafft hat. Sie gehören zu denjenigen, die letztendlich als Sieger hervortreten werden, auch wenn sie ggf. gegenwärtig angefeindet werden würden. Daher haben die Mitglieder auch meistens immer die gleiche Meinung zu unterschiedlichen Themen, so dass sie gleichgeschaltet wirken. Auch wirken Argumente zu Diskussionsthemen auswendiggelernt, da sie innerhalb der Gruppe immer wieder thematisiert werden und die einzigen akzeptierten, legitimen Meinungen sind. In Sekten gibt es unter den Mitgliedern daher einen großen sozialen Druck, um weiterhin als Elite bestehen zu können. Alle Mitglieder kontrollieren sich gegenseitig und versuchen die meist irrationalen Gesetzlichkeiten innerhalb der Gemeinschaft durchzusetzen. Diese Gesetze und Regeln führen zu einer Komplexitätsreduzierung. Der moderne Alltag ist viel zu komplex und macht Entscheidungen schwierig. Sekten vereinfachen dies, in dem sie ein einfaches Modell anbieten. Damit wird sie attraktiv für viele Menschen, vor allem für Personen, die eine Konfliktbiographie haben.

 

Menschen mit einer schwierigen Vergangenheit haben in Sekten die Möglichkeit, Sinn und Orientierung zu finden. Sie finden und bekommen eine Wertschätzung und Geborgenheit, die sie von ihrem Umfeld, z.B. von ihren Familien, sonst nicht erhalten haben. Daher kommt es häufig vor, dass Sektenmitglieder von ihren Familien, die keine Sektenmitglieder sind, getrennt werden und jeglicher Kontakt untersagt wird. Nur so kann eine erfolgreiche Indoktrination funktionieren. Um die ideologische Indoktrination zu perfektionieren, wird meistens auch jeglicher Kontakt mit Außenstehenden reduziert. Auf diese Art und Weise werden besonders Kinder und Jugendliche mit dem Gedankengut der Sekte sozialisiert. Diese Generationen sind es dann, die viel stärker an die Sekte gebunden sind, als z.B. Erwachsene, die in älteren Jahren zur

Sekte gestoßen sind. Die in der Sekte sozialisierten und groß gewordenen Mitglieder sind dann materiell und immateriell an die Sekte gebunden und abhängig von ihr. Eine Trennung ist meist mit viel Kraft, Trauma und psychischen Störungen verbunden. Sekten können ohne ein Zentrum, ohne einen Führer nicht funktionieren. Der Führer ist jedoch kein gewöhnlicher Geistlicher, sondern jemand mit “Sonderfunktionen“, die direkt von Gott (!) bereit gestellt werden. So wird der Sektenführer zu einem heiligen, unantastbaren Halbgott, der auf keine Art und Weise kritisiert werden darf. Sekten, die eine bestimmte Mitgliedergröße erreichen, verwandeln sich in modernen Gesellschaften auch zunehmend in Wirtschaftsunternehmen und große Organisationen, die primär Angebote für ihre eigenen Mitglieder generieren aber auch „Öffentlichkeitsarbeit“ leisten, um das Image der Sekte zu verbessern und zu Missionieren.

 

Vergleich mit der Gülen-Bewegung

Sektenähnliche Strukturen fangen bereits im Kindesalter mit ihrer Indoktrination an. Durch verschiedene Angebote werden Kinder und Jugendliche in differenzierten Stufen in eine ideologisierte Elite heranerzogen und leben die Lehren ihrer Meister weiter. Eine der

bekanntesten und umstrittensten Bewegungen in Deutschland, die eine große Sektenähnlichkeit besitzt, ist die Gülen-Bewegung, auch bekannt als Hizmet-Bewegung. Die Gülen-Bewegung ist seit über 30 Jahren in Deutschland verhüllt aktiv, seit ca. fünf Jahren gibt es erste öffentliche Sprecher oder Einrichtungen für Anlaufstellen. Das Netzwerk der Bewegung ist weltweit bekannt und steuert diverse pädagogische und soziale Einrichtungen, sowie Projekte im interreligiösen Bereich. Seit dem Putschversuch in der Türkei 2016 ist die Gülen Bewegung in Deutschland in aller Munde. Das äußere Auftreten der Bewegung symbolisiert wichtige Fundamente, die für ein gemeinsames Miteinander unverzichtbar sind. Integrationsbereitschaft, Dialog, Bildung und Toleranz – alles Schlüsselbegriffe, die von einer verdeckten Indoktrination ablenken sollen. Viele Kritiker in Deutschland werfen der Bewegung seit Jahren vor, sektenähnliche Methoden zu verwenden. Aktuell spricht die Bundesregierung von einer Neubewertung der Bewegung. Es liegen interne Berichte der deutschen Botschaft aus Ankara vor, die eine Sektenähnlichkeit nochmals

unterstreichen. Wenn Strukturen und Merkmale einer funktionierenden Sekte mit der Gülen-Bewegung verglichen werden, dann sind deutliche Gemeinsamkeiten erkennbar.

 

Jede Sekte hat einen Meister und strikte hierarchische Strukturen. Der Meister Fethullah Gülen gibt sämtliche Regeln und Lebenspraktiken vor und unterrichtet konstant seine Anhänger mit Inhalten, die direkt in das Leben bzw. Privatleben eindringen. Dies berichten u.a. etliche Aussteiger und hochrangige Vertreter. In Sekten ist es üblich, dass der Führer einer Gruppierung niemals kritisiert oder hinterfragt wird. Es gibt kaum kritische Äußerungen oder Publikationen von der Bewegung, die Fethullah Gülen in Frage stellen. Zudem gibt es in der Gruppe ein Weltbild von „gut“ und „böse“. Alle, die der Bewegung folgen, alle Sympathisanten, alle, die nichts hinterfragend von der Bewegung annehmen, alle Förderer und vor allem – alle Anhänger sind die "Guten". Auch die Gülen-Bewegung braucht immer ein Feindbild innerhalb ihrer Dichte. Durch die aktuellen Vorkommnisse wird der alte Freund und Partner, die AKP-Regierung als das „Schlechte“ in der Bewegung kommuniziert.

Für sektenähnliche Strukturen sind diese schwarz-weiß Gedanken von großer Bedeutung, um die eigene Elite immer in den Mittelpunkt zu rücken. Deshalb setzen sich die Mitglieder einer Sekte gegenseitig unter Druck und kontrollieren sich und ihre Handlungen. In der Hizmet-

Bewegung hat jedes Mitglied einen Mentor bzw. einen sog. „Agabey“, übers. großer Bruder. Schon ganz früh werden Kinder und Jugendliche durch die Bildungsarbeit in den sog. Lichthäusern manipuliert. Nachhilfeangebote oder künstlerische Projekte dienen einer direkten Rekrutierung in die Lichthäuser. Die Mentoren kontrollieren die Mitglieder, für die sie selbst verantwortlich sind und stehen gleichzeitig selbst unter Beobachtung. Diese Kontrollen setzen in der Bewegung den Schwerpunkt auf die religiösen oder politischen „Hausaufgaben“:

  • Wie lange war man draußen?
  • Mit wem war man unterwegs?
  • War man diese Woche im Lichthaus? Wenn nein, wieso nicht?
  • Haben die eigenen Eltern, Freunde, Verwandte o.ä. ein Zaman-Abo? (In Deutschland wird diese Zeitung nicht mehr gedruckt. Die Bewegung arbeitet derzeit an neuen medialen Projekten.)
  • Wurde eine bestimmte Anzahl von Seiten aus Fethullah Gülens Büchern gelesen?
  • Befolgt man die eigene religiöse Ideologie?
  • Wurden bestimmte Artikel geteilt und verbreitet, mit Inhalten aus der türkischen Politik?
  • Wurden bestimmte Nachrichtensender, die kritische Beiträge über die Bewegung bringen, sabotiert?
  • Ist man bereit, für die Bewegung zu opfern?

Das sind nur Beispiele für Fragen bzw. Anweisungen, mit denen sich die Anhänger gegenseitig ausspionieren. Religion wird als emotionales Machtinstrument genutzt, denn ein Widersprechen der Anweisungen durch die Mentoren, wäre ein Widerspruch zum Meister und obligatorisch zu Gott. Soziale Probleme und das Gefühl ausgeschlossen zu sein, schenkt Sekten genug Spielraum, damit sie neue Kumpanen dazu gewinnen. In der Gülen-Bewegung geht es vor allem auch um die „verlorene Religiosität“ und um ein verlorenes Leben im Jenseits. Daher fühlen sich die Sympathisanten der Hizmet-Bewegung gezwungen, auch einen finanziellen Dienst zu leisten und spenden Unmengen an Geld in ihre Ideologie. Oder sie verkauften in der Vergangenheit ihre Zaman-Zeitung in Massen, um die Gedanken des Meisters weiterzuverbreiten. Die Gülen-Bewegung nennt sich selbst eine soziale Strömung. Sie sagt von sich selbst, dass sie im Dienste Gottes, im Dienste des Ehrenamtes und der

Bildung unterwegs sei. Es gibt wenig soziale und ehrenamtliche Gruppen in Deutschland, die Millionen von Euros besitzen und diese in kritische PR-Agenturen wie Burson Marsteller investieren können. Im Rahmen einer „sozialen Bewegung“ sind wirtschaftliche Hilfsmittel, die überwiegend durch die eigenen Mitglieder privat „gespendet“ werden, in dieser Höhe und für eine solche Maßnahme nur in festen sektenähnlichen Strukturen möglich.

 

Informationen zu den Autoren:

Umut Ali Öksüz, geboren in Neuss, ist aktiv als Lehrer, Pädagoge, Kinderschutzfachkraft §8a SGBVIII und Blogger. Er ist Autor im Handbuch »Bildungsbrücken bauen – Stärkung der Bildungschancen von Kindern mit Migrationshintergrund«. Seit über zehn Jahren, 2008, arbeitet er mit Kindern, Jugendlichen und Eltern zusammen. Er ist Referent für die Themen: Bildungschancen, Interkulturelle Bildung, Subkulturen innerhalb der Deutsch-Türkischen Community. Persönlicher Kontakt: info@umutalioeksuez.de. Weitere Informationen: www.umutalioeksuez.de

Dr. Cemil Şahinöz, Soziologie, Theologe und Religionspsychologe, ist Hauptberuflich als Integrationsbeauftragter und Familienberater tätig. Er hat mehrere Bücher verfasst und analysiert die Gülen Bewegung seit mehr als 10 Jahren.